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Verschwörungs-Dilemma

Glaubt man dem Zeitgeist, so leben wir in einem Zeitalter der Verschwörungstheorien. Um sich ein Bild verschaffen zu können, ist es aber erforderlich, sich mit dem zu befassen, woher der inflationär verwendete Begriff eigentlich kommt.

Es ist nun mal so, dass der Begriff Verschwörungstheorie in seiner Entstehung aus Zusammenhängen stammt, die eines sehr deutlich belegen: als Verschwörungstheorie wurde zuerst der Versuch bezeichnet, tatsächlich drastische Verhältnisse zu beschreiben und zu erklären. Und der Begriff Verschwörungstheorie wurde und wird von denjenigen verwendet, die etwas zu verbergen hatten und haben. Und, ob man es wahr haben will oder nicht; in den Anfängen seiner Hochkonjunktur tauchte der Begriff auf, wenn Geheimdienste, in besonderer Weise die amerikanische CIA, sich des Begriffes bemächtigten, wenn sie sich entlarvt fühlten. 

Dass nicht alles, was unglaubliche Vorgänge beschreiben will, frei von merkwürdigen Spekulationen und irrsinniger Deutung, ist die andere Seite der Wahrheit, die zur Aufklärung gehört.

In Zeiten dramatischer Verwerfungen, ist der Verdacht, dass sich hinter vielem dunkle Mächte verbergen, eine naheliegende, jedoch auch oft nicht zutreffende Erklärung.

Die Welt ist nicht einfach mit jüdischen Finanzhaien an der amerikanischen Ostküste, noch russischen Spionen oder chinesischen Bots zu erklären. Ursache für die dramatischen Veränderungen sind andere Dinge. Diese Form der Interpretation läuft nicht nur auf billige Feindbilder hinaus, sie lenkt auch ab von einer präzisen, kalten Blutes durchgeführten Analyse der Verhältnisse.


Der unbeschränkte Austausch von Waren, der globale Zugriff auf Ressourcen, das allmächtige Gesetz der Verwertung und der massenhafte, direkte Kontakt von Menschen in der ganzen Welt sind die Quellen für Raubbau, soziale Spaltung, Umweltvernichtung und Epidemien. Selbstverständlich spielen, wie bei allem, konkrete Individuen und Organisationen eine Rolle, aber ohne die logischen Prinzipien, die sie treiben, könnten sie diese Rolle nicht spielen. Es greift zu kurz, sich auf die Individuen und Organisationen zu fokussieren.

Im Grunde ist das, was als Verschwörungstheorie bezeichnet wird, Ausdruck einer gewissen Unbeholfenheit der Welterklärung. Und so sehr die zum Teil abstrusen Erklärungsmuster auch daherkommen mögen, sie haben, was das Prinzip, sprich die Produktions- und Eigentumsverhältnisse anbetrifft, eine nützliche Rolle.

Sie lenken von den Ursachen ab und bieten einen wunderbaren Anlass, um sich zu mokieren über die Abseitigkeit der Interpretation von Missständen.

Verschwörungstheorien haben einen Doppelcharakter. Sie sind zum einen eine Spielart der verwegenen Illusion, zum anderen jedoch ein Aufbegehren gegen Verhältnisse, die nicht mehr richtig erscheinen. Wie bei der Religion, wie bei der Romantik und wie bei der Illusion schlechthin.

Den komischen Part spielen in diesem Spiel diejenigen, die sich darauf konzentrieren, den Erklärungsversuch als solchen pauschal zu diskreditieren. Sie sehen sich als die Besitzer einer Wahrheit, die nichts erklärt. Sie verkaufen den Status quo als das natürlich Gegebene, zu Erstrebende und Unausweichliche und schließen die Notwendigkeit einer Analyse, die der Sache auf den Grund geht, aus.

Sie machen sich somit zu Verfechtern einer Realität, die mit ihren Ordnungsprinzipien im Zerfall begriffen ist und grenzen diejenigen, die dem Prozess hilflos gegenüberstehen, als Begriffstutzige, von der Komplexität Überforderte aus. 

Ja, es ist ein Dilemma. Da stehen sich Apologetik und absurde Theorie diametral gegenüber. Weiter führt weder das eine noch das andere. Helfen kann nur die Analyse, mit scharfem Verstand und ohne Tabus. 

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